Kein Zweifel, dies ist Putins Krieg. Der mittlerweile 69jährige frühere KGB-Agent, seit 2000 de facto „Herrscher der Russen“ auf Lebenszeit, hat am 24. Februar mit dem Überfall auf die Ukraine etwas begonnen, was in der westlichen Blase niemand erwartet hat. Unser Mitgefühl für die Ukraine und unsere Verurteilung für diesen kriegerischen Akt sind ohne Wenn und Aber. Das Elend der Menschen dort ist unermesslich.
Dennoch ist diese Krise mitten in Europa nicht wirklich überraschend, und trägt leider auch die Handschrift des Westens, der NATO, der EU, der G7 und vor allem der USA. Seit vielen Jahren schwelt ein Konflikt in der Ukraine, für den man eine historische Empathie benötigt. Europa und Amerika hatten nie ein aufrichtiges Interesse an einer Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit Moskau. Statt Russland eine faire Chance zu geben, hat man es sukzessive mit Bündnissen umzingelt und wirtschaftlich isoliert. Die Gier nach fetten Geschäften und Alleinkontrolle erinnert frappierend an die deutsche Wiedervereinigung, in der die Produkte der DDR nie eine reale Chance hatten.
Andererseits legt Putin jetzt eine fatale Dekadenz und Schwäche des Westens offen. Vor allem Deutschland gibt ein grauenvolles Bild ab. Die Außendarstellung unserer neuen Regierung ist katastrophal. Nicht nur in Form von Slapstick – wie ein ernstgemeintes Hilfsangebot von 5000 Helmen (als wenn man in einer Hungersnot Teller zur Verfügung stellt) – oder die plötzliche Erkenntnis der Handlungsunfähigkeit unserer Bundeswehr (die seit 20 Jahren abgewirtschaftet wird, ähnlich unserer Polizei im Inneren).
So lässt sich der hölzern wirkende Bundeskanzler Scholz von seinem „Chef“ Joe Biden öffentlich abstrafen, Nord Stream 2 sei definitiv vom Tisch, während die USA als drittgrößter Abnehmer nach wie vor massiv Öl aus Russland beziehen. Hat unser Land eigentlich noch Spielraum für Souveränität? Wer nimmt uns noch ernst?
Eine komplett fertige Pipeline nicht in Betrieb zu nehmen, um die Versorgungssicherheit zu gewährleisten – und das noch zu einem günstigen Preis – grenzt schon an Idiotie. Putin lacht nur über diese Sanktion. Das Gas, das wir nicht abnehmen, nehmen die Chinesen mit Kusshand. Dafür explodieren bei uns die Energiepreise. Die Sanktionen treffen also nicht Putin, sondern den deutschen Endverbraucher. Und wenn unsere neue Außenministerin zuletzt anmerkte, Deutschland „ist bereit, einen hohen wirtschaftlichen Preis zu zahlen“, spricht sie dann ungefragt für die Millionen von Menschen, die zukünftig ihre Heizkosten, Strom und Sprit nicht mehr bezahlen können?
Deutschland besitzt längst kein Heft des Handelns mehr. Wir sind nur noch der „Zahlonkel“ für eine Politik, die andere gestalten. Wirtschaftliche Elite-Interessen, Aktienmärkte und Rohstoff-Geschiebe scheinen alles zu sein, wofür sich unsere Politik leidenschaftlich einsetzen mag. Darum ist es auch nicht verwunderlich, dass ausschließlich unsere Regierung sich noch ziert und windet, Russland vom SWIFT-Zahlungssystem komplett auszuschließen.
Unser Land hat sich von der Realität abgekoppelt, nicht nur innenpolitisch (Genderei, grüne Klimapolitik, Multikulti, schrankenlose Migration, Covid-Chaos, Geschlechterkampf etc.), sondern auch international. Deutschland ist ein Geisterfahrer der Geschichte. Man will kein Nationalstaat mehr sein, der für seine eigenen Interessen eintritt, und ist damit auch kein verlässlicher Verbündeter für EU und NATO. Unsere Eliten irrlichtern in einem Bekenntnis zur Globalität, in der sie an Luftschlössern ohne Mauern bauen.
Sanktionen hier, nackte Gewalt dort: Mit einem chaotischen Maßnahmenpaket reagiert der Westen auf Russland. Die EU hat sich zwar auf Sanktionen gegen Russland geeinigt, aber sie hat viele Mittel auch nicht angewendet, die ihr zur Verfügung gestanden hätten.
Putin hat den Westen vorgeführt, welcher nicht wirklich mit einem Worst-Case-Szenario gerechnet hat. Die deutsche und europäische Außenpolitik ist letztlich dem Irrglauben angehangen, man könne Putin mit der Androhung von Wirtschaftssanktionen abschrecken.
Und wie ist die Rolle Chinas? Es ist kein Mysterium, dass Staatschef Xi Jinping eine durchaus ähnliche Philosophie pflegt wie Putin. Und ähnliche imperialistische Machtinteressen hat. Wird die Annexion des Taiwans nächste Station auf dem Weg in einen globalen Krieg?
Putin und die „Pussy-Staaten“: mit dieser Vokabel lässt sich treffend auch das Bild umreißen, das der russische Präsident (und auch China) von den westlichen Gesellschaften hat. Europa als Militärbündnis ist vollkommen handlungsunfähig. Charismatische Politiker sind Mangelware. Putins Angriff auf die Ukraine geht leider eine sehr realistische Einschätzung der Reaktion seitens EU und NATO voraus. Schon in der Syrienkrise hatte der Westen jegliche Entschlossenheit vermissen lassen, massive Menschenrechtsverletzungen durch eine militärische Intervention zu unterbinden. Warum sollte das jetzt anders sein? Trotz gegenteiliger Lippenbekenntnisse während der Trump-Ära hängt die EU verteidigungsstrategisch nach wie vor am Tropf der USA.
Während gerade Deutschland über „Menschenrechte auf körperliche Selbstbestimmung“ schwadroniert und allen Ernstes die Frage erörtert, ob man mit einem Geschlecht geboren wird oder sich dieses selbst aussuchen kann, nutzt Putin die Gunst der Stunde. Der Westen (einschließlich der USA) ist an einer multiplen Neurose erkrankt. Der russische Präsident konnte in den vergangenen zwei Jahren mitansehen, wie eine universelle Angststörung die gesamte westliche Hemisphäre lähmte. Und er greift zu.
Es geht uns nicht darum, Putin zu verteidigen. Aber die Dinge sind nicht nur Schwarz und Weiß. Fehler werden immer auf beiden Seiten gemacht. Leidtragende sind die Menschen, denen jetzt mit allen Mitteln geholfen werden muss.